Freitag, 29. April 2011

Ein Stück mehr Wahrheit über Tornados

Hallo,

an sich ziere mich immer ein wenig vor Themen wie diesen, weil ich mich als keinen ausgewiesenen Tornadoexperten betrachte, zumindest aufgrund meiner Erfahrungen als Meteorologe, der tief im zentraleuropäischen Wettergeschehen verwurzelt ist, aber manchmal ist es notwendig über seinen Schatten zu springen. Anlass waren eine Aufforderung von Kollegen Felix (positiv) und eine Mickey-Mouse Grafik der APA, die gestern zirkulierte (negativ). Folgende Grafik sollte laut APA verdeutlichen, wie Tornados entstehen:




Ende der Märchenstunde. Sieht nett aus, allerdings ist das Einzige was daran stimmt, die Erklärung der Fujita-Skala im unteren Bilddrittel. Und ja, Gewitterwolken sehen von unten meist schwarz aus. Was noch stimmt, ist das Tornados etwas mit Aufwinden zu tun haben. Der Rest, und das soll den Wesentlichen Prozess widerspiegeln, ist mit der Aufklärung, die ich in der Volksschule erfahren habe, zu vergleichen. "Kinder bekommt man dann, wenn 2 Menschen sich lieb haben". Man greift einen Heile-Welt Zustand heraus, der oft genug nicht erfüllt ist, schweigt über den physischen Prozess, den ich nicht weiter erörtern muss, und vernachlässigt die oft schlimmen Schicksale, die dann auftreten, wenn Kinder von Menschen in die Welt gesetzt werden, die sich nicht liebhaben, die schlimmsten Fälle will ich hier gar nicht erst anschneiden.

Also: Vergesst die Grafik, die Welt ist auch beim Wetter nicht so einfach, wie man uns glauben machen möchte.

Die Tornado-Gleichungen sind an sich bekannt, sie kommen aus den Bewegungsgleichungen der Atmosphäre sowie Gesetzen der Thermodynamik, man kann sie auch zumindest in der Theorie modellieren. In der Praxis scheitert das an der Kleinheit des Phänomens. Was ich sagen möchte, wir sprechen bei einem Tornado zumindest über kein Monster, das aus der Schattenwelt stammt. H. Bluestein hat in Synoptic-Dynamic Meteorology in Mid Latitudes II einen Ansatz zur mathematischen Beschreibung von Tornados auf Basis von Stördruckansätzen abgehandelt, wer sich das mathematisch zutraut, kann das folgende vielleicht ohne verzogene Augenbrauen nachvollziehen:

Um der Wahrheit stark vereinfacht, aber nicht verfälscht, ein Stück näher zu kommen, kann man sagen, dass z.B die schadbringenden Tornados in den USA der letzten Tage aus der Umwandlung von horizontalen in vertikale Luftwirbel bei gleichzeitiger Konzentration der Rotation durch konvergenten, also zusammenströmenden Wind entstehen (können). Ah ja, ein Gewitter, idealerweise eine Superzelle, die das nötige extreme zellulare Auf- und Abwindfeld erzeugt, ist auch notwendig.

Auf die inhaltlich falsche APA-Grafik bezogen heisst das: Bei Superzellentornados ist die Drehung des Aufwindschlauches bereits eine notwendige Konsequenz der vertikalen Verteilung des Windfeldes (Scherung) und des zellularen Auf/Abwindregimes. Es braucht keinen Deus-Ex-Machina Seitenwind, der das Ganze in Drehung versetzt. Allenfalls versetzt der rückwärtige Abwind einer Superzelle dem Drehregime noch den letzten Kick um sich von einem weitskaligen rotierenden Aufwindgebiet, das jede Superzelle hat, in einen Tornado zu wandeln. Das ist auch der Grund warum nur die Minderheit aller SZ Tornados produziert, auch in den USA. Die SZ hat aber abseits der Tornados genug andere Grauslichkeiten (Downdrafts, Großhagel) zu bieten und kann daher mit Fug und Recht als Balrog unter den Gewittern bezeichnet werden. Allenfalls kann man mit der APA-Grafik nicht-superzellige Tornados z.B an Böenlinien oder an Küsten ansatzweise erklären. Hier ist schon vertikale Rotation an der Böenlinie vorhanden, die lokal durch die Konvergenz aufkonzentriert werden kann. Darum ging es in den USA in den letzten Tagen sowie bei den meisten schadbringenden Tornados der letzten Jahre nicht.

Um nun weniger auf die tatsächliche Entstehung sondern mehr die zweifelhafte *Bevorzugung* der USA gegenüber anderen Regionen der Erde, was die Frequenz des Auftretens von Tornados betrifft, einzugehen, muss man die Landkarten zur Hilfe ziehen und auch ein paar Gedanken an die Frage: Was ist vertikale "Instabilität" verschwenden.



Die USA sind geprägt von der Zwickellage zwischen dem Pazifik im Westen (kaltes Wasser) dem Atlantik im Osten (mildes Wasser) und dem Golf von Mexiko im Süden (warmes Wasser). Dominierend ist die Struktur der Nord-Süd verlaufenden Rocky Mountains, des sanft nach Osten abfallenden Landes im Mittelwesten und der Apalachen im Osten, Südwest-Nordostorientiert.

Die Rockies werden oft von Westen überströmt, wie das auch in den letzten 14 Tagen der Fall war. Die Folge sind Föhneffekte, wie wir sie auch von den Alpen kennen, die die Luft auf ihrem Weg nach Osten abtrocknen. Exemplarisch dafür ein aktuelles Sounding aus den Plains:


Diese Luft ist zwar nicht kalt, aber knochentrocken, wie man am großen Unterschied zwischen Temperatur- und Taupunktskurve in den unteren Luftschichten sieht.

Am Golf von Mexiko, der eine zentrale Rolle auch bei dieser letzten Tornadolage spielte, sieht die Sache anders aus:


Das warme Meerwasser produziert in tiefen Schichten sehr feucht-warme Luftmassen, die von einer dicken Inversion gedeckelt sind. Darüber ist es wie für die Subtropen jetzt üblich, abermals trocken.

Beide Luftmassen könnten für sich selbst gesehen niemals Tornados unterstützen.

Was aber geschieht nun, wenn wie in den letzten Tagen, ein starkes Tief im Norden beginnt, Luftmassen vom Golf anzusaugen, vornehmlich in den tiefen Schichten ? Wir erhalten ein Sounding, wie von Felix gestern kommentiert:


In den tiefen Luftschichten sieht man die durchgeheizte, feuchte Luft vom Golf, in den hohen die warme, aber trockene aus den Plains, die ausgeprägte,unüberwindliche Inversion wie direkt am Golf fehlt. Das ist eine enorm explosive Mischung: trocken-warm über feucht warm, wir Meteorologen sprechen von potentieller Instabilität. Soll heissen: Die kleinste Hebung kann die explosive Mischung zur Zündung bringen, widergespiegelt durch analysierte CAPE-Werte von nahezu 3000 J/kg.

Ein weiteres Detail: Die enormen Windgeschwindigkeiten (25kt am Boden, 90 kt in 600 hPa, also ca. 4000m) mit Mords-Scherung. Das sind die Verhältnisse unmittelbar vor Fronten, in baroklinen Zonen. Das Ergebnis der Zündung dieser Luftmasse ist in den Nachrichten nachzulesen.

Ist das auf Europa übertragbar ? Die Karte:



Auch bei uns sind Lufströmungen von West nach Ost vorherrschend, fehlend ist der große Gebirgszug, der solche Westströmungen föhnig abtrocknen könnte (auf großer Skala). Feuchtezufuhr bei Vorderseiten vom Mittelmeer ist allerdings möglich. Der Ural im Osten könnte westföhnen, doch fehlt das warme Meer im Süden. Die Skandinavischen Gebirge scheiden aus, zu weit nördlich für energiereiche Luftmassen. Es bleibt eine winzige Region für favorable Bedingungen für Tornados übrig: Die Poebene ! Der Westalpenbogen geht von Süd nach Nord,  kann föhnig abtrocknen, gleichzeitig kann die Adria bei geeigneter Druckkonstellation ausreichend Feuchte bereitstellen. Tatsächlich ist die Poebene einer der ganz wenigen Europäischen Tornado Hotspots.

Nach Asien:



Hier würde man Südchina als favorisiert ansehen, mit dem Himalaya und dem Hochland von Tibet im Westen und Nordwesten, sowie dem warmen Südchineischen Meer im Süden. Tatsächlich weiss ich nur von beeindruckenenden Superzellen im Raum Shanghai und Hong Kong, nichts aber über Tornados.. vielleicht weiß einer der Leser mehr. Ein weiteres Gebiet erweist sich tatsächlich als brauchbar: Nordindien und Bangladesh. Föhnige Effekte bei WNW vom Himalalya und Feuchtezufuhr aus dem Golf von Bengalen. Zahlreiche, auch starke Tornados sind hier dokumentiert.



Australien verfügt wohl über die schmalste Tornadoalley der Welt. Sie erstreckt sich etwas landeinwärts der Küstenlinie von New South Wales und Queensland. Wenn sich der Region Kaltfronten aus West nähern, saugt der bodennahe Nordostwind warm-feuchte Meeresluft an, das Great Dividing Range sorgt für die nötige Abtrocknung der Höhenluft. Man sieht aber schon auf der Karte, dass zwischen Küste und Gebirge kaum Platz ist ...


Zum Abschluss noch einige Bilder, wie z.B Meteorologen in den USA Tornados auf Radarbildern erkennen können, um z.B Warnungen abzusetzen...














Eigen ist vielen tornadoproduzierenden Superzellen eine in Zugrichtung offene V-Form, mit einem Haken, meist am rechten hinteren Ende. Der Haken, der manchmal ganz geschlossen sein kann, signalisiert die Wirkung der Mesozyklone, die den Niederschlag beinahe ganz um den zentralen Aufwindbereich herumwirbelt. Am rechten Rand des Hakens besteht die höchste Wahrscheinlichkeit, einen Tornado zu finden.

Manchmal äussert sich der Tornado hier in einem kreisförmigen Fleck aus hohen Reflektivitäten, die durch  aufgewirbelte und hochgerissene Trümmer ausgelöst werden. In diesen Bildern wird das als Debris Ball bezeichnet.

Extrem wichtig sind neben den Reflektivitäten die Dopplergeschwindigkeitsfelder. Ein Radar kann feststellen, ob sich Luft auf das Radar zu oder von diesem weg bewegt. Ein Tornado äußert sich hier als eine kleine symmetrische Struktur, in der hohe Werte entgegengesetzter Windrichtung (bezogen auf das Radar) einander räumlich extrem nahe liegen:







 Ich danke den geneigten Leserinnen und noch geneigteren Lesern, die bis zum Ende durchgehalten haben !

Lg

Manfred

2 Kommentare:

  1. Großartig, danke! Die APA-Meldung kommt am ehesten den Typ-II-Tornados am nähesten, vgl.

    http://kkd.ou.edu/METR%202603/non%20ss%20tornado.jpg

    die allerdings selbst in den USA selten mehr als die Stärke F2 erreichen, und bei diesem Ereignis allenfalls vergleichsweise harmlose Begleiterscheinungen an den flanking lines der Superzellen waren.

    Übrigens: die 2 mir bisher bekannten F5-Tornados in Europa waren nicht in der Poebene, sondern in Woldegk/Mecklenburg-Vorpommern (1764) und Hainichen/Sachsen (1800).

    F4-Tornados gab es zuletzt in Hautmont/Nordfrankreich sowie in Polen, am 15.8.2008, wenn ich mich nicht irre.

    (wobei es aus Norditalien leider kaum zusammenhängende Datensätze gibt...)

    Mehr evtl. am Sonntag.

    Gruß,Felix

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  2. Bitte gerne,

    'Hot-Spots' soll nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es nat. auch nachweislich ausserhalb der Poebene SZ Tornados geben kann und gegeben hat. Jene kommt auf der kleinen Skala *lediglich* den mittleren US-Verhältnissen am nächsten.

    Lg

    M.

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Da kenntat ja jeder kumman ...! Dennoch ... Hier ist Platz dafür :) !