Sonntag, 22. Juli 2012

Warum Europa anders tickt als die USA

Hi und schönen Sonntag,

heut ist mir mal wieder nach einem etwas trockeneren Eintrag, um die nassen und schlammigen Folgen unserer letzten Unwetterlage kümmern sich andere eh zuhauf. I

ch möchte Euch quasi in Echtzeit von einem Lernprozess meinerseits, der über die letzte Woche stattgefunden hat berichten, der zeigt, dass man als Meteorologe auch auch nach dem Abschluss der akademischen Karriere wohl nie aufhört, neues aufzuschnappen und zu lernen. Heute soll es um die Strukturen von Zyklonen gehen, wie sie sich diesseits und jenseits des Atlantiks bilden.

Beginnen wir diesseits des Atlantiks mit einem Schnappschuss einer für Juli extrem ästhetischen Atlantikzyklone:



Schaut euch das Teil westlich von Island an, den enormen Warmfrontschirm an seiner Ostflanke, die schmale Kaltfront und die gekringelte Okklusion.

So sah die Energieanalyse in tiefen Atmosphärenschichten (rund 1400m Höhe) eines Modells zum selben Zeitpunkt aus:


Die Koinzidenz der Strukturen auf dem Satbild und im Energiefeld ist nachvollziehbar, aber nicht 100%ig, was daran liegt dass die Bewölkung nicht an die absoluten Werte der Energie gebunden ist, sondern an deren räumliche Differenzen, in der Fachsprache Gradienten genannt. Die Satbildstrukturen kleben an den Zonen, wo sich die Energie pro Distanz rasch ändert. Das sind unsere altbekannten Fronten. Überträgt man diese energiebasierte Frontenanalyse auf das Satbild, sieht das so aus (Okklusion ausnahmsweise in Orange, damit man sie in den lila IR Tops noch sieht :)


Die Warmfront in Bodennähe liegt demnach am Hinterrand der Bewölkung des Warmfrontschirmes, die Kaltfront am Vorderrand des Wolkenstreifens der Kaltfront. Stürzen wir uns auf die Warmfront. Man sieht, dass die Bodenwarmfront am Vorderrand der Keilachse in der antizyklonal, also im Uhrzeigersinn gekrümmten Strömung bis nahe Spanien verläuft, der Aufgleitschrim, teilweise auch mit Regenfällen versehen liegt gänzlich an der Keilvorderseite.

Das passt nur bedingt bzw. gar nicht in die verkürzte Darstellung, dass Aufsteigen und damit Niederschläge an der Trogvorderseite liegen müssen, und zeigt, dass diese sehr verkürzte Darstellung, die man immer wieder hört, eigentlich grundlegend falsch ist.  Am schönsten wird es mit einem Bild der relativen Topografie, ein Parameter, der uns etwas über die mittlere Temperatur der Atmosphäre zwischen 0 und 5500m sagt.


Dargestellt ist der Druck aus Meeresniveau, in Farben die Temperatur der Mittelschicht, in Linien das Geopotential (direkt übersetzbar in die Strömung) auf ca. 5500m Höhe.

Wir wissen, dass Warmfronten (sichtbar) aus Aufgleitbewölkung enstehen, das sind Wolken, die sich bilden, wenn wärmere Luft zum Aufgleiten auf dichtere Kaltluft gezwungen wird. Mit einiger Übung kann man diese Zone der so genannten Warmluftadvektion auch ohne das Lösen von Gleichungen aus obiger Karte auch rein grafisch lösen, wobei ich euch jetzt nicht mit dem *wie* langweilen werde:


und schon hat man eine Struktur, die nahezu perfekt mit dem Satbild korrelliert.

Diese Zyklone ist ein Otto Normalvebraucher der atlantischen Zyklonen, die sich nach einem einfach beschreibbaren (aus Sicht der Gleichungen dann schon nicht mehr ganz so einfach) Ablauf bilden:

Eine kleine Störung sorgt an einer langgezogegen Front (wurscht ob Kalt- oder Warmfront) für eine Verwellung, bodennahe ensteht querzirkulation quer zur Front, der Druck am Boden fällt, über die Kopplung ändert sich auch die Struktur des Höhenfeldes und wir enden mit Zyklonen, die den entsprechenden Trögen und Keilen in der Höhe nach vorne hin verschoben sind. Denn nur bei dieser Phasenverschiebung ist es möglich, dass die Bodennwarmfront VOR dem Höhenkeil und die Bodenkaltfront VOR dem Höhentrog liegt. Diese Frontenpositionen relativ zu Trögen und Keilen der Höhenströmung waren meinem Kollegen Andrew aus den USA vollkommen unbekannt, weswegen da über die letzten Tage der gegenseitige Lern- und Belehrungsprozess einsetzte.

Denn das oben Beschriebene ist nicht der einzige Mechanismus für die Bildung synoptischskaliger Zyklonen mit ausgeprägten Warm- und Kaltfronten, zeigt das typische Bild von Zyklonen über dem mittleren Westen der USA.

Es sind diese Zyklonen, auf die die Tornadojäger scharf sind, wo sich nach Zellen zwischen Warmfront und Dryline suchen....

Und sie bilden sich komplett anders. Anders heißt in diesem Fall für Laien im Gegensatz zum atlantischen Fall vollkommen unverstehbar, weil hier wirklich fundamentale Thermodynamik und Fluidmechanik die Erklärung liefert, ich versuchs dennoch in lesbare Worte zu fassen.

2 Gleichungen beschreiben was passiert:

Die Erhaltung der Ertelschen Vorticity und die Gleichung für die Phasenverschiebung bei Schwerewellen.

Die Ertel-Gleichung sagt: Wenn eine Luftsäule gestreckt/gestaucht wird, erhöht/erniedrigt sich deren absolute (relative plus Vorticity durch Erddrehung) Rotation.

Die Schwerewellenverschiebung sagt uns, dass, wenn Luft ein Gebirge überströmt (Föhnwellen), die Scheitelpunkte dieser Wellen mit zunehmender Höhe immer weiter nach hinten verschoben sind.

Beides zusammen führt dazu, dass wenn Luft die Rockies von West nach Ost überströmt, sich im Lee der Rockies ein Trog in der Höhenströmung bildet. Witzigerweise funktioniert das NUR bei Überströmung von West nach Ost, nicht von Ost nach West, nicht von Nord nach Süd und umgekehrt. (Wir reden hier nicht von reinen Leetrögen wie bei Föhn)

Dieser Trog bringt natürlich zunehmende differentielle Vorticityadvektion und damit Druckfall auch am Boden sowie zunehmende Zirkulation mit sich.

Der große Unterschied ist, dass wir bisher überhaupt keine Temperaturgradienten bemüht haben, also dass solche Zyklonen auch in ganz einheitlichen Luftmassen entstehen können und es normalerweise auch tun.

Was dann passiert ist ein schleichender Prozess: Durch die einsetzende Zirkluation werden allmählich auch kleinste Temperaturgradienten aufkonzentriert, wärmere Luftmassen aus Süden, kältere aus Norden mit einbezogen, wieder konzentriert etc pp..  und man endet mit einem System bestehend aus Höhentrog, Bodentrog und Fronten.

Hier im Ablauf des Modells:


Hier beginnt sich im Lee der Rockies ein Bodentrog in einheitlicher Luftmasse zu formieren, auch in der Höhe sieht man bereits eine Delle in der sonst antizyklonalen Strömung.


etwas später vertieft sich der Bodentrog, eigentlich schon zum abgeschlossenen Bodentief und auch der Höhentrog vertieft sich


.. und man endet wie vorher theoretisch erläutert mit einem gekoppelten Boden/Höhensystem mit markanten Fronten.

Der Unterschied zum atlantischen Fall ist, dass es eine vergleichsweise extrem kleine Verschiebung zwischen Boden und Höhensystem gibt und damit die Warmfront an der Trogvorderseite liegt (Atlantik: Keilvorderseite). Man sagt: Die Wellen sind in Phase.

Diese Zyklonen sind also thermisch gesehen ganz anders als unsere Europäischen Kollegen strukturiert, mit ein Grund, warum auch die Europäische Tornadosituation nur sehr bedingt mit der in den USA vergleichbar ist. Andere Gründe liegen darin, dass es in Europe bei weitem nicht so effektive Prozesse, die eine EML erzeugen, gibt, dazu aber ein andern mal.


Ich hoff, ich habe Euch nicht allzu sehr gelangweilt, ich wollte meinen AHA Effekt aber auf jeden Fall im Rahmen des Blogs loswerden ;)

schönen Sonntag

Lg

Manfred


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